Das Schach-Genie: Strategisches Denken!

Garry Kasparow war offizieller Weltmeister des Weltschachbundes FIDE 1985–1993. Nach seiner Loslösung und Absetzung im Streit blieb er noch bis 2000 vom Großteil der Schachwelt anerkannter Träger dieses Titels. 2005 trat er überraschend vom Schach zurück. Für einen Großteil des Schachpublikums gilt Kasparov als stärkster Spieler der Schachgeschichte.

Seither ist Garry Kasparow als russischer Oppositionsaktivist tätig. Er gründete unter anderem das oppositionelle Bündnis „Das andere Russland“, welches jedoch nicht zu den russischen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 2007/08 zugelassen wurde. Im Oktober 2007 wurde seinem Bündnis der Antritt zu den Duma-Wahlen verweigert, da es sich um keine Partei handele. Am 13. Dezember 2008 gründete er zusammen mit Boris Nemzow eine neue Oppositionsbewegung.

Garry Kasparov: DEEP THINKING – Wo maschinelle Intelligenz endet und menschliche Kreativität beginnt.

Seine Mutter, Klara Schagenowna Kasparjan, war Armenierin und stammt aus Bergkarabach, einer armenisch besiedelten Enklave in Aserbaidschan und war Musiklehrerin. Sein Vater, Kim Moissejewitsch Weinstein, war ein deutschstämmiger Jude. Beide Eltern verfügten über eine Hochschulbildung und ließen ihren Sohn bereits frühzeitig eine Atmosphäre von Intellekt und Bildung genießen. Kim Weinstein entstammte einer musikbegeisterten Familie, spielte selbst Violine und war der Bruder des aserbeidschanischen Komponisten Leonid Weinstein.

Als Fünfjähriger lernte Garik, dessen Muttersprache Russisch ist, von seinem Vater die Schachregeln. In Kasparows eigenen Worten: „Ich hatte noch nie Schach gespielt, aber ich sah gespannt zu, wie sie sich abmühten und schließlich resigniert aufgaben. Am nächsten Morgen zeigte ich ihnen den zur Lösung führenden Zug.“ Ab dem siebten Lebensjahr erhielt Garik Weinstein im Palast der Jungpioniere in Baku regelmäßig Schachunterricht.

Als er sechs oder sieben Jahre alt war, starb sein Vater an Leukämie. Im Alter von 12 Jahren änderte die Mutter den Namen ihres Sohnes von Weinstein in Kasparow. Mit zehn Jahren kam er zum dreimaligen Schach-Weltmeister Michail Botwinnik in dessen Schachschule. Botwinnik wurde Kasparows schachlicher Ziehvater und zugleich Vorbild, Trainer und Kritiker. Mit 15 Jahren übernahm Garri in der Schachschule sogar eine Art Assistentenfunktion. Ausgezeichnet mit einer Ehrenurkunde des Präsidenten des Obersten Sowjets der Aserbaidschanischen SSR. 1976 und 1977 Juniorenmeister der UdSSR. 1979 wurde er Internationaler Meister, 1980 wurde dem damals 17-jährigen Kasparow der Titel eines Großmeisters (GM) verliehen. Im selben Jahr gewann er überlegen in Dortmund die Junioren-Weltmeisterschaft.

Der Weg zur Weltmeisterschaft

Anatoli Karpow galt dem sowjetischen Schachverband als der erwünschte Schachweltmeister. Die übrigen sowjetischen Schachgroßmeister sollten ihn in seinen weiteren Weltmeisterschaftkämpfen unterstützen, aber nicht gegen ihn antreten. Dem widersetzte sich der junge Garri Kasparow. Er weigerte sich, seine Schachanalysen Anatoli Karpow für seinen Weltmeisterschaftskampf (1981) gegen Viktor Kortschnoi zur Verfügung zu stellen. Um Garry Kasparow an einer Herausforderung des Weltmeisters Anatoli Karpow zu hindern, wurde ihm 1983 die Ausreise, angeblich wegen Sicherheitsbedenken, zum Match im Kandidatenturnier gegen Viktor Kortschnoi nicht genehmigt. Damit war Kasparow aus dem Kandidatenturnier zur Herausforderung des Weltmeisters ausgeschieden. Kortschnoi wollte aber kein siegloses Weiterkommen und schlug ein neu zu vereinbarendes Match gegen Kasparow vor. Dieses Match kam zustande und wurde vom jungen Garri Kasparow überzeugend gewonnen. Damit war der Weg frei für die Weltmeisterschaftskämpfe gegen Anatoli Karpow. Kasparow qualifizierte sich in den Kandidatenkämpfen 1983/84 in überzeugender Manier als Herausforderer des Weltmeisters. Im Viertelfinale schlug er in Moskau Alexander Beljawski mit 6:3, im Halbfinale in London Viktor Kortschnoi mit 7:4 und im Finale in Vilnius Ex-Weltmeister Wassili Smyslow mit 8,5:4,5. Kasparows erster Wettkampf gegen Anatoli Karpow um die Weltmeisterschaft begann am 10. September 1984 in Moskau. Gespielt wurde in dem Modus, der seit der WM 1978 üblich war: Weltmeister sollte werden, wer zuerst sechs Partien gewann, Remis zählten nicht. Nachdem Karpow überzeugend mit 4:0 in Führung gegangen war, wechselte Kasparow seine Wettkampftaktik. Anstatt weiter ungestüm – und erfolglos – anzugreifen, spielte er auf Remis und wollte möglichst lange standhalten. Karpow schaffte nach einer langen Remisserie einen fünften Sieg, doch dann machten sich beim Weltmeister Erschöpfungserscheinungen bemerkbar. Er wurde körperlich wie psychisch immer erschöpfter, nahm 11 Kilogramm ab und wurde mehrmals ins Krankenhaus eingeliefert, während Kasparow fit blieb.

Garry Kasparow kam in wenigen Partien bis auf 5:3 heran, ehe am 15. Februar 1985 nach 48 Partien und über 300 Spielstunden das Match abgebrochen wurde. Der Match-Abbruch geschah unter bis heute ungeklärten Umständen auf Betreiben des damaligen FIDE-Präsidenten Florencio Campomanes, der ihn offiziell mit Rücksichtnahme auf die Gesundheit beider Spieler begründete. In seiner Autobiografie von 1987 beschuldigte Kasparow Campomanes, seinen Kontrahenten Anatoli Karpow und die Schachverantwortlichen der UdSSR des Komplotts gegen ihn. Gleichzeitig gab er aber auch zu, dass seine Chancen auf den Titel durch den Abbruch erheblich gestiegen seien. Die FIDE setzte für den Oktober 1985 eine Wiederholung des Wettkampfes, wieder in Moskau, unter verändertem Modus an. Sieger sollte sein, wer als erster 12,5 Punkte erzielt, dem Weltmeister aber reichte ein 12:12 zur Titelverteidigung. Im zweiten WM-Kampf 1985, der auf 24 Partien begrenzt war und bei dem die Remispartien wieder gezählt wurden siegte Kasparow mit 13:11 und wurde am 9. November 1985 der 13. und bis dato jüngste Weltmeister in der Geschichte des Schachs.

Garri Kasparow verteidigte seinen WM-Titel erfolgreich in drei weiteren Begegnungen mit Karpow: 1986 kam es in London (erste 12 Partien) und Leningrad (letzte 12 Partien) zu einem Revanchewettkampf, nachdem die FIDE überraschend das Revancheprivileg des Weltmeisters wieder eingeführt hatte (dieses war 1963 abgeschafft worden). Kasparow verteidigte seinen Titel mit 12,5:11,5. 1987 spielten die beiden Kontrahenten ihren Wettkampf in Sevilla: Erst durch einen Sieg in der 24. Partie gelang Kasparow ein 12:12 und die Titelverteidigung. 1990 war Karpow durch die Kandidatenkämpfe erneut qualifiziert. Den je zur Hälfte in New York City und Lyon ausgetragenen Wettkampf gewann Kasparow mit 12,5:11,5.

1993 kam es zu Unstimmigkeiten mit der Weltschachorganisation FIDE, die ihm den WM-Titel daraufhin entzog. Kasparow gründete im Anschluss daran mit Nigel Short die PCA (Professional Chess Association) und gewann die PCA-Weltmeisterschaftskämpfe 1993 gegen Nigel Short (6 Siege, 1 Niederlage, 13 Unentschieden) und 1995 gegen Viswanathan Anand (4 Siege, 1 Niederlage, 13 Unentschieden).

Braingames als „Nachfolger“ der PCA

Die PCA löste sich nach der Ausrichtung der WM 1995 wieder auf. Für fünf Jahre fand sich weder eine Organisation noch ein Sponsor, der eine WM mit Kasparow ausrichtete. Im Jahre 2000 sponserte dann allerdings Braingames Kasparows letzten WM-Wettkampf. Überraschend verlor er gegen Wladimir Kramnik (2 Niederlagen, 13 Unentschieden).

Die Prager Abmachung von 2002

Im Zuge von Bestrebungen, die beiden konkurrierenden Weltmeistertitel wieder zu vereinigen, trafen sich im Mai 2002 Kasparow, Kramnik und Vertreter der FIDE in Prag und vereinbarten einen Vereinigungsplan, der vorsah, dass Kasparow mit dem Sieger aus der FIDE-WM in Moskau 2002/03 – dies wurde Ruslan Ponomarjow – einen Wettkampf spielen sollte, dessen Sieger auf den Gewinner von Kramniks WM-Kampf mit dem Sieger aus dem Braingames-Kandidatenturnier – dies wurde Péter Lékó – spielen sollte; Dieser Wettkampf sollte die Wiedervereinigung darstellen, kam aber letztlich nicht zustande.

Mensch gegen Maschine

Großes Interesse riefen seine Wettkämpfe gegen Schachprogramme hervor. In den Achtzigerjahren hatte Kasparow behauptet, er würde nie von einem Schachprogramm geschlagen werden. 1989 spielte er gegen den von IBM gebauten Computer Deep Thought zwei Partien, die er beide gewinnen konnte. 1996 siegte Kasparow gegen dessen Nachfolger Deep Blue in einem Match über sechs Partien mit 4:2, verlor aber mit der 1. Wettkampfpartie als erster Schachweltmeister überhaupt unter Turnierbedingungen gegen ein Schachprogramm. Im Jahr darauf unterlag Kasparow Deep Blue im Rückkampf mit 2,5:3,5. Kasparow erwog die Möglichkeit, dass unerlaubte menschliche Eingriffe stattgefunden haben könnten, zum Teil darauf begründet, dass ihm IBM keinen Einblick in die Computerprotokolle gab. Diese wurden jedoch später veröffentlicht.Ein weiterer „Mensch-Maschine“-Wettkampf gegen das PC-Programm Deep Junior im Jahre 2003 endete 3:3 unentschieden.

Garry Kasparow gegen die Welt

Ein ähnlich medienträchtiges Ereignis war eine Partie „Kasparow gegen die Welt“, die 1999 online über das Internetportal MSN ausgetragen wurde. Ein Team aus vier jungen Schachtalenten (Étienne Bacrot, Florin Felecan, Irina Krush und Elisabeth Pähtz) sowie Großmeister Daniel King analysierten und kommentierten die aktuelle Stellung und machten Zugvorschläge. Jedermann konnte im Internet über den nächsten Zug des Welt-Teams abstimmen, wobei der Zug mit den meisten Stimmen dann ausgeführt wurde. Die Partie endete nach vier Monaten im 62. Zug mit dem Sieg Kasparows.

Kasparows Rückzug vom Schach

Im November 2004 gewann Kasparow nochmals die russische Landesmeisterschaft. Aber weder ein Wettkampf gegen Ponomarjow, den die FIDE disqualifizierte, noch ein Wettkampf mit dem nächsten FIDE-Weltmeister, Rustam Kasimjanov, kam zustande. Kasparow machte für diese Umstände alleine die FIDE verantwortlich und erklärte nach dem Turnier von Linares am 10. März 2005 seinen Rückzug vom professionellen Schach. Er erklärte, dass es ihm, mit fast 42 Jahren, immer schwerer falle, ein Turnier fehlerfrei durchzuspielen. Er fühle, er gehöre nicht mehr dazu.

Spielstil

Kasparows Schachstil ist dynamisch und aggressiv – hier ähnelt er seinem schachlichen Vorbild Weltmeister Alexander Aljechin. Auch ist Kasparow für seine hervorragende Eröffnungsvorbereitung bekannt – hier ähnelt er seinem zweiten Vorbild, Weltmeister Michail Botwinnik. Ein Beispiel dafür ist das Kasparow-Gambit, das ihm einen wichtigen Sieg im WM-Kampf gegen Karpow 1985 einbrachte.

1990 verließ Garry Kasparow die KPdSU und beteiligte sich an der Gründung der Demokratischen Partei, deren stellvertretender Vorsitzender er wurde. Ein Jahr später trat er nach Auseinandersetzungen über das Programm aus der Partei aus. Ebenfalls 1990 erschien sein Buch Ich gewinne immer. Ab 1999 veröffentlichte Kasparow eine Reihe von Kommentaren in US-Zeitungen, so dem The Wall Street Journal, ab 2004 als „contributing editor“ der Zeitung, worin er die amerikanische Politik lobt und die russische Politik kritisiert. Nach wie vor ist er Mitglied des neokonservativen National Security Advisory Council (NSAC) in Washington.

Auszeichnungen

Im Jahre 2006 wurde Garry Kasparow als Berater („Advisor“) auf der Internetseite des amerikanischen Center for Security Policy geführt. Er dementierte jedoch, jemals für die Organisation tätig gewesen zu sein und bestätigte lediglich, 1991 die Auszeichnung Keeper of the Flame Award erhalten zu haben. Das Nachrichtenmagazin Time führte Kasparow 2007 in ihrer Liste der 100 einflussreichsten Personen. Der Herausgeber Richard Stengel nannte ihn einen „Helden“, der einen „einsamen Kampf für mehr Demokratie in Russland“ führe. Am 19. September 2007 wurde Kasparow in Kopenhagen mit dem neu gestifteten und mit 100.000 Kronen dotierten Pundik-Freiheitspreis ausgezeichnet. Die Zeitschrift Foreign Policy führte ihn im Juli 2008 auf Platz 18 ihrer Liste der World´s Top 20 Public Intellectuals.